Newsletter zur Schweizerischen Erbrechtsrevision
Erbrechtsrevision
In unserem neusten Newsletter diskutieren Reto Strittmatter und Lara Gachnang die revidierten Bestimmungen des Schweizerischen Erbrechts und geben entsprechende Handlungsempfehlungen. Die Erbrechtsrevision tritt auf 1. Januar 2023 in Kraft und findet auch Anwendung auf alle bestehenden Testamente und Erbverträge.
Das neue Recht ist flexibler als bisher ausgestaltet. Erblasserinnen und Erblasser können künftig über einen grösseren Teil ihres Nachlasses frei verfügen. Im Zuge der Revision wurden auch verschiedene Themen klargestellt, die im geltenden Recht umstritten sind. Nachfolgend werden die wichtigsten Änderungen aufgezeigt.
1. Änderung der Pflichtteile der Nachkommen und Eltern
Nach geltendem Recht haben Nachkommen, Ehegatten, eingetragene Partner:innen und in gewissen Fällen Eltern Anspruch auf einen Mindestanteil der Erbschaft (Pflichtteil). Das neue Recht regelt den Pflichtteilsschutz wie folgt:
Die Pflichtteilsquote der Nachkommen wird von 3/4 auf 1/2 reduziert;
Die Pflichtteilsquote der Ehegatten bzw. eingetragenen Partner:innen bleibt unverändert bei 1/2;
Der Pflichtteilsschutz der Eltern entfällt.
Ausgangspunkt für die Berechnung der Pflichtteile ist der gesetzliche Erbanspruch. Dieser bleibt im neuen Recht unverändert.
Beispiele:
Herr Muster hinterlässt seine Ehefrau und drei gemeinsame Kinder. Er hat letztwillig verfügt und seine Kinder auf den Pflichtteil gesetzt. Der gesetzliche Erbanspruch der Ehefrau beträgt ½, derjenige der Kinder je 1⁄6. Nach geltendem Recht erhalten seine Kinder je ¾ von 1⁄6, d. h. je 1/8. Nach neuem Recht erhalten seine Kinder je ½ von 1⁄6, d. h. je 1⁄12
Herr Muster hat über seinen Nachlass nicht letztwillig verfügt, sodass die gesetzliche Erbfolge zum Zug kommt. Seine Ehefrau erhält ½ des Nachlasses und seine Kinder je 1⁄6. Das gilt sowohl nach geltendem Recht wie nach neuem Recht.
Mit der Reduktion bzw. des Wegfalls der Pflichtteile erhöht sich die frei verfügbare Quote. So können z. B. faktische Lebenspartner:innen, Stiefkinder, andere nahestehende Personen, gemeinnützige Institutionen oder einzelne Erben in einem grösseren Umfang als bisher begünstigt werden. Kinderlose Ehegatten und eingetragene Partner:innen können sich neu unbeschränkt als Alleinerben einsetzen.
Stets zu beachten sind die möglichen Steuerfolgen (Erbschaftssteuern). Diese können je nach Kanton insbesondere bei der Begünstigung von Nichtverwandten erheblich sein.
2. Verlust des Pflichtteilsanspruchs im Scheidungs- bzw. Auflösungsverfahren
Nach geltendem Recht verlieren Ehegatten und eingetragene Partner:innen ihren Erb- und Pflichtteilsanspruch erst mit dem Vorliegen des rechtskräftigen Scheidungs- bzw. Auflösungsurteils.
Neu gilt folgendes: Ist beim Tod des Erblassers ein Scheidungsverfahren hängig, so verliert der überlebende Ehegatte seinen Pflichtteilsanspruch, wenn das Verfahren auf gemeinsames Begehren eingeleitet oder nach den Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren fortgesetzt wurde oder wenn die Ehegatten mindestens zwei Jahre getrennt gelebt haben. Diese Regelung gilt bei Verfahren zur Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft sinngemäss.
Mit Einreichung des Scheidungs- bzw. Auflösungsbegehrens, das den Verlust des Pflichtteilsanspruchs des Überlebenden bewirkt, fallen sämtliche Ansprüche aus Verfügungen von Todes wegen und aus ehevertraglichen bzw. vermögensvertraglichen Begünstigungsklauseln weg, sofern nichts anderes festgehalten wurde.
Zu beachten ist, dass der gesetzliche Erbanspruch bis zum rechtskräftigen Scheidungs- bzw. Auflösungsurteil bestehen bleibt. Soll der überlebende Ehegatte bzw. eingetragene Partner im Falle eines hängigen Scheidungsverfahrens nichts erhalten, ist eine entsprechende Verfügung von Todes wegen (also aktives Handeln) erforderlich.
3. Nutzniessung zugunsten des überlebenden Ehegatten bzw. eingetragenen Partners
Gemäss geltendem Recht kann der Erblasser dem überlebenden Ehegatten die Nutzniessung an dem ganzen Teil der Erbschaft zuwenden, der den gemeinsamen Nachkommen zufällt. Diese Nutzniessung tritt an die Stelle des dem überlebenden Ehegatten neben diesen Nachkommen zustehenden gesetzlichen Erbrechts. Neben dieser Nutzniessung beträgt die verfügbare Quote des Erblassers 1/4 des Nachlasses. Im neuen Recht wird diese Quote auf 1/2 des Nachlasses erhöht. Zudem wird festgehalten, dass diese Begünstigungsmöglichkeit auch für eingetragene Partner:innen gilt.
4. Erleichterte Anfechtung von Schenkungen nach Abschluss eines Erbvertrags
Im geltenden Recht ist nicht klar geregelt, ob ein Erblasser nach Abschluss eines Erbvertrags mittels lebzeitiger Schenkungen über sein Vermögen verfügen darf. Gemäss Bundesgericht sind solche Schenkungen möglich, sofern der Erbvertrag keine gegenteilige Anordnung enthält und keine offensichtliche Schädigungsabsicht vorliegt.
Nach neuem Recht werden Schenkungen nach Abschluss eines Erbvertrags – soweit es sich nicht lediglich um Gelegenheitsgeschenke handelt – per se anfechtbar, es sei denn, der Erbvertrag erlaubt solche Schenkungen explizit. Die neue Regelung gilt auch für Erbverträge, die vor Inkrafttreten der Erbrechtsrevision abgeschlossen wurden, falls der Erblasser nach dem 31. Dezember 2022 verstirbt.
Diesfalls können auch Schenkungen, die vor dem 1. Januar 2023 erfolgten, erleichtert angefochten werden.
5. Klarstellungen
a) Überhälftige Vorschlagszuweisung
Das neue Recht stellt klar, dass die ehevertraglich bzw. vermögensvertraglich über die Hälfte hinaus zugewiesene Beteiligung am Vorschlag bei der Berechnung der Pflichtteile des überlebenden Ehegatten oder eingetragenen Partners, der gemeinsamen Kinder und deren Nachkommen nicht hinzugerechnet wird. Diese Frage war in der Praxis bislang umstritten. Nicht gemeinsame Nachkommen müssen sich dagegen eine solche Vorschlagszuweisung weiterhin nicht gefallen lassen, wenn dadurch ihre Pflichtteile verletzt werden.
b) Gebundene Selbstvorsorge ( Säule 3a )
Im geltenden Recht ist umstritten, ob Säule 3a-Bankguthaben Teil des Nachlasses bilden oder dem Begünstigten ein selbständiger Anspruch gegenüber der Vorsorgeeinrichtung zukommt. Das neue Erbrecht schafft Klarheit und hält fest, dass Säule 3a-Guthaben nicht in den Nachlass fallen. Der oder die Begünstigte kann die Auszahlung direkt von der Vorsorgeeinrichtung verlangen. Eine Zustimmung der Erben ist nicht erforderlich.
Ansprüche aus der Säule 3a werden jedoch für die Berechnung der Pflichtteile zum Nachlass hinzugerechnet (beim Banksparen zum vollen Wert und beim Versicherungssparen zum Rückkaufswert). Begünstigungen aus der beruflichen Vorsorge sind für die Berechnung von Erb- und Pflichtteilsansprüchen weiterhin nicht relevant.
c) Herabsetzung
Erben, die dem Werte nach weniger als ihren Pflichtteil erhalten, können verlangen, dass bestimmte Verfügungen des Erblassers auf das erlaubte Mass herabgesetzt werden. Nach geltendem Recht ist nicht ganz klar, welche Verfügungen des Erblassers herabgesetzt werden können und es bestehen Unklarheiten mit Bezug auf die Reihenfolge der Herabsetzung. Das neue Recht stellt klar, dass zuerst Erwerbungen gemäss der gesetzlichen Erbfolge herabzusetzen sind (d. h. die Erbquote der gesetzlichen Erben bis auf deren Pflichtteil). Danach folgt die Herabsetzung der Zuwendungen von Todes wegen und schliesslich die Herabsetzung der Zuwendungen unter Lebenden.
6. Weitere Gesetzgebungsverfahren
Es laufen bereits weitere Gesetzgebungsverfahren im Bereich Erbrecht. Insbesondere soll ein separates Unternehmens-Erbrecht geschaffen werden, das die Unternehmensnachfolge erleichtern soll. Im Weiteren sollen die erbrechtlichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht (IPRG) an die europäische Erbrechtsverordnung angepasst werden.
7. Handlungsbedarf ?
Für die Einführung der neuen Bestimmungen ist kein Übergangsrecht vorgesehen. Das neue Recht wird am 1. Januar 2023 auf alle bestehenden Testamente und Erbverträge anwendbar sein, die unter heutigem Recht errichtet wurden. Wir empfehlen Ihnen, folgendes zu prüfen :
Ist mein Testament bzw. Erbvertrag mit den neuen Bestimmungen vereinbar?
Sind aufgrund der neuen Bestimmungen allenfalls Klarstellungen im Testament bzw. Erbvertrag erforderlich?
Möchte ich jemanden neu oder verstärkt begünstigen?
Wir unterstützen Sie gerne bei der Prüfung dieser Fragen und halten uns gerne für ein Beratungsgespräch bereit.