Newsletter zum Zivilprozessrecht

Zivilprozessrecht

Peter Reichart, Dominic Hägler und Felix Buff diskutieren die neusten Entwicklungen von zwei Gesetzgebungsprojekten mit Relevanz für jeden Praktiker im Bereich des Zivilprozessrechts:

Einerseits wurde Mitte März die Revision der Zivilprozessordnung verabschiedet und andererseits beabsichtigt die Schweiz, dem Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (HGÜ) beizutreten.

Revision Zivilprozessordnung

Die letzten Differenzen des National- und Ständerats zur Revision der Zivilprozessordnung wurden mittlerweile bereinigt und der definitive Gesetzestext am 17. März 2023 verabschiedet. Die wesentlichen Punkte der Revision haben wir in unserem Newsletter von November 2022 beschrieben. Das Parlament hat seither noch klargestellt, dass Englisch nur bei internationalen und nicht auch bei nationalen handelsrechtlichen Streitigkeiten als Verfahrenssprache gewählt werden kann.

Laut Bundesrätin Baume-Schneider werden die Änderungen voraussichtlich per 1. Januar 2025 in Kraft treten.

Weiterhin pendent und in den Räten noch nicht behandelt ist die Vorlage zum kollektiven Rechtsschutz.

Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen

Das HGÜ regelt die internationale Zuständigkeit von Gerichten in Zivil- und Handelssachen sowie die Anerkennung von Urteilen, wenn die Streitparteien eine Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen haben. Ein Beitritt der Schweiz zum HGÜ ist nach heutiger Beurteilung wahrscheinlich. Zurzeit läuft die Vernehmlassung, die Botschaft ist für den Frühsommer 2023 in Aussicht gestellt. Das Wichtigste in Kürze:

1. Ziele des HGÜ

Das HGÜ will die Rechtssicherheit in internationalen Sachverhalten erhöhen, indem es durch vereinheitlichte Regeln für Gerichtsstandsvereinbarungen zur effizienten Streitbeilegung beiträgt. Dem gleichen Ziel dient, dass alle Vertragsstaaten die Entscheidung eines vereinbarten Gerichts anerkennen und vollstrecken müssen. Rechtstreitigkeiten sollen so berechenbarer werden.

Das HGÜ bietet eine Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit, für die mit dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (NYÜ) seit längerem ein einheitliches Regelwerk besteht.

Für die Schweiz ist das HGÜ interessant, um sich international besser als Gerichtsstandort zu positionieren, wie durch die im Rahmen der ZPO-Revision nun ermöglichte Errichtung von spezialisierten Gerichten für internationale Handelsstreitigkeiten. Damit solche Gerichte attraktiv sind, müssen ihre Urteile im Ausland anerkannt und vollstreckt werden können.

2. Mitgliedstaaten des HGÜ

Das HGÜ gilt heute in den Mitgliedstaaten der EU, im Vereinigten Königreich, in Mexiko, Singapur und Montenegro. Weitere Staaten, u.a. die USA, China oder Israel, haben das HGÜ unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.

3. Wesentliche Regelungen des HGÜ

Anwendungsbereich

Das HGÜ ist anwendbar, wenn Parteien in internationalen Sachverhalten einen ausschliesslichen Gerichtsstand vereinbaren. Es genügt, dass ein Gericht eines Vertragsstaates vereinbart wird; der (Wohn-)Sitz der Parteien spielt keine Rolle.

Sachlich gilt das HGÜ für Zivil- und Handelssachen, wobei arbeitsrechtliche Angelegenheiten, Ansprüche aus unerlaubter Handlung, Verbraucherstreitigkeiten und andere besondere Streitigkeiten ausgeschlossen sind.

Ausschliessliche Zuständigkeit

Als «ausschliesslich» gilt eine Gerichtsstandsvereinbarung, wenn ein bestimmtes Gericht (oder allgemein die Gerichte eines Vertragsstaates) unter Ausschluss der Zuständigkeit aller anderen Gerichte prorogiert, d. h. vereinbart wird.

Eine vereinbarte Zuständigkeit ist nach HGÜ für alle Gerichte der Vertragsstaaten bindend. Das prorogierte Gericht muss den ihm unterbreiteten Streit entscheiden und kann sich nicht für unzuständig erklären (z. B. im Sinne eines forum non conveniens). Die Einrede der anderweitigen Rechtshängigkeit bei konkurrierenden, internationalen Verfahren steht im Gegensatz zum LugÜ oder IPRG nicht zur Verfügung. Umgekehrt müssen die unzuständigen Gerichte der Vertragsstaaten das Verfahren aussetzen oder die Klage als unzulässig abweisen.

Anerkennung und Vollstreckung

Die Entscheidung eines ausschliesslich prorogierten Gerichts ist in den anderen Vertragsstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken. Anerkennung und Vollstreckung dürfen dabei – ähnlich dem NYÜ – nur aus abschliessend aufgezählten, gewichtigen Gründen versagt werden, namentlich wegen der Ungültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung, der fehlenden Möglichkeit zur Mitwirkung für die beklagte Partei, oder wegen eines Verstosses gegen die öffentliche Ordnung (ordre public). Eine darüberhinausgehende Überprüfung der Entscheidung in der Sache ist nicht zulässig (Verbot der révision au fond).

4. Verhältnis zu LugÜ und IPRG

Gerichtsstandsvereinbarungen in internationalen Sachverhalten werden auch in Art. 23 LugÜ und Art. 5 IPRG geregelt.

Auf den ersten Blick scheint das Verhältnis zu diesen Vorschriften klar: Als Staatsvertrag geht das HGÜ dem IPRG vor, das HGÜ selbst gibt aber dem LugÜ ausdrücklich Vorrang.

Bei genauerer Betrachtung können sich aber Abgrenzungsprobleme ergeben. Beispielsweise enthält das HGÜ keine Koordinationsvorschrift für den Fall, in welchem von einer Partei aus einem Nicht-LugÜ-Staat das nach HGÜ prorogierte Gericht angerufen wird, die Sache aber bereits bei einem anderen Gericht in einem LugÜ-Staat rechtshängig ist.

5. Ausblick

Ein Beitritt der Schweiz zum HGÜ vereinheitlicht die Zuständigkeit der Gerichte im internationalen Verhältnis weiter. Auch die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen wird erleichtert. Dies verbessert die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen und erhöht damit die Rechtssicherheit. All das ist zu begrüssen. Wichtig erscheint der Beitritt der Schweiz zum HGÜ auch für den Erfolg von spezialisierten Gerichten für internationale Handelsstreitigkeiten in der Schweiz.

Bis zur Ratifizierung durch weitere Staaten ist die praktische Bedeutung des HGÜ noch beschränkt. Immerhin können aber gerade im Verhältnis zum Vereinigten Königreich schon heute Rechtsunsicherheiten beseitigt werden, die durch den Brexit entstanden sind.