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Urteil Bundesgericht 4A_496/2023 vom 27. Februar 2024 :

Anforderungen an Verzicht auf Retrozessionen im Execution-Only-Geschäft.

Beurteilt wurde die Beschwerde eines Bankkunden (bzw. dessen Zessionarin), der vor dem Handelsgericht des Kantons Bern mit einer Klage auf Herausgabe von Retrozessionen grösstenteils unterlegen war (HG 22 21 vom 6. September 2023). Das Bundesgericht äusserte sich dabei erstmals zu den Anforderungen an einen Verzicht auf Retrozessionen im Execution-Only-Geschäft

Handelsgericht Bern bejaht Gültigkeit des Verzichts

Das Handelsgericht hatte eine Herausgabepflicht der Bank für die ab dem Jahr 2013 vereinnahmten Retrozessionen verneint. Der Kunde habe die Allgemeinen Geschäftsbedingungen akzeptiert, welche ab diesem Zeitpunkt einen gültigen Verzicht auf Ablieferung enthalten hätten (E. 15.4.2):

Die Verzichtsklausel (abgedruckt in E. 14.3.2 f.) beschreibe Art und Weise der Bemessung der Retrozessionen. Das ergänzende Merkblatt enthalte für Anlagefonds die prozentualen Bandbreiten der Retrozessionen pro Produktkategorie. Dabei würden die Prozentsätze für Gruppengesellschaften der Bank und für Drittgesellschaften gesondert angegeben. Die Retrozessionen würden zudem in Prozent des Anlagevolumens auf Jahresbasis ausgedrückt. Weiter werde die Vertriebsentschädigung für strukturierte Produkte in Prozent angegeben (E. 15.4.2).

Dies genüge den bundesgerichtlichen Anforderungen, denn damit wisse der Kunde, «bei welchen Vorgängen (Grund der Vergütung) welche Entschädigung (Art der Entschädigung) in welcher Höhe anfällt». Zudem könne der Kunde aus dem Vergleich der verschiedenen Produktklassen beurteilen, wo der Interessenkonflikt der Bank besonders ausgeprägt sei (E. 15.3). Im Übrigen sei ihm zugestanden worden, jederzeit genauere Informationen zu den Retrozessionen zu verlangen (E.15.4.2).

Bundesgericht bestätigt vorinstanzlichen Entscheid

Strittig war, ob die Vorinstanz zu Recht einen gültigen Verzicht bejaht hatte. Das Bundesgericht gibt zunächst die ausführliche Begründung des Handelsgerichts wieder (E.4.1) und kommt dann zum Schluss, dass der Kunde «den von der Vorinstanz bejahten Verzicht […] insgesamt nicht als bundesrechtwidrig auszuweisen» vermag (E. 4.2). Es stützt damit die Auffassung der Vorinstanz, wonach die Offenlegung der Prozentbandbreiten pro Produktkategorie den bundesgerichtlichen Anforderungen genüge. Das Bundesgericht hält dem Kunden zudem vor, er sei nicht auf die Feststellung der Vorinstanz eingegangen, wonach es ihm jederzeit freigestanden wäre, genauere Informationen zu verlangen (E. 4.2).

Grundsatzfrage der Ablieferungspflicht im Execution-Only-Geschäft offengelassen

Da ein gültiger Verzicht des Kunden vorlag, konnte das Bundesgericht offenlassen, ob im Execution-Only-Geschäft eine Ablieferungspflicht gemäss Art. 400 Abs. 1 OR besteht ( E. 4.2 in fine).

Bemerkungen

Das Bundesgericht hat sich bislang nur zu den Verzichtsanforderungen im Vermögensverwaltungsgeschäft geäussert (BGE 138 III 755 E. 6; 137 III 393, E. 2; BGer Urteil 4A_355/2019 vom 13. Mai 2020, E. 3.2). In diesen Urteilen kam es jeweils zum Schluss, dass die fraglichen Klauseln für einen Verzicht nicht genügten. Das vorliegende Urteil ist deshalb in doppelter Hinsicht bedeutsam:

Zum einen lässt das Bundesgericht erstmals eine Verzichtsklausel als ausreichend gelten. Zum anderen wird für das Execution-Only-Geschäft entschieden, dass es genügt, wenn die Retrozessionen in Prozentbandbreiten pro Produktklasse bekannt gegeben werden und – so ist das Bundesgericht wohl zu verstehen – der Kunde zusätzlich das Recht hat, jederzeit genauere Informationen zu verlangen.

Die vom Handelsgericht Bern in seinem Urteil wiedergegebene, äusserst ausführliche Klausel kann daher – mit der gebotenen Vorsicht – als Muster für eine den bundesgerichtlichen Anforderungen genügende Verzichtsklausel dienen. Ob auch eine weniger detaillierte Klausel genügt hätte, ist dem Entscheid hingegen nicht zu entnehmen.

Weiterhin offen bleibt wie erwähnt, ob im Execution-Only-Geschäft überhaupt eine Ablieferungspflicht gemäss Art. 400 Abs. 1 OR besteht. Die Frage ist in der Lehre umstritten und wird auch in der kantonalen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. So hat das Handelsgericht Bern im hier angefochtenen Entscheid die Frage bejaht, wie dies auch das Handelsgericht Zürich in mehreren Entscheiden getan hat (siehe etwaHG190234 vom 5. Oktober 2021, E. 2.3 f.; HG210223 vom 21. Juni 2023, E. 6). Andere kantonale Gerichte verneinen indessen eine Ablieferungspflicht (so das Handelsgericht St. Gallen, HG.2018.11 vom 12. September 2019, E. 3.3, und das Tribunal de première Instance de Genève, siehe etwa JTPI/4669/2023 vom 19. April 2023). Eine baldige höchstrichterliche Klärung wäre der Rechtssicherheit dienlich.