Newsletter: Unterlassene Information über krankheitsbedingte Abwesenheit als Kündigungsgrund
Im kürzlich veröffentlichten Entscheid BGer 4A_486/2024 vom 15. Januar 2025 befasste sich das Bundesgericht mit der Frage, wann die fristlose Auflösung eines Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist. Der Entscheid konkretisiert die Rechtsprechung zur Informationspflicht und behandelt gleichzeitig einen anschaulichen Fall.
Sachverhalt
Dem Entscheid lag vereinfacht folgender Sachverhalt zugrunde: Die Beschwerdeführerin (Arbeitnehmerin) war bei der Beschwerdegegnerin (Arbeitgeberin), einer Bierbrauerei, als sog. Head-Brauerin für die Bierherstellung angestellt. Etwas über ein Jahr nach ihrer Anstellung kündigte ihr die Arbeitgeberin ordentlich. Wenige Tage nach der ausgesprochenen Kündigung meldete sich die Arbeitnehmerin krank. Sie teilte der Arbeitgeberin an einem Freitag mit, sie könne frühstens am Montag einen Arzt aufsuchen. Am Montag verlangte die Arbeitgeberin ein Gespräch, woraufhin die Arbeitnehmerin gleichentags antwortete, sie könne nicht zum Gespräch erscheinen und ein Arztzeugnis werde folgen. Am nächsten Tag antwortete die Arbeitgeberin, die Arbeitnehmerin sei verpflichtet, entweder eine korrekte Arbeitsleistung zu erbringen oder eine ärztliche Begründung zu liefern, weshalb sie der Arbeit fernbleibe. Sie erwarte daher bis am Mittwoch ein Arztzeugnis bzw. eine klare Ansage, ob überhaupt bzw. ab wann sie wieder für ihre Arbeit zur Verfügung stehe. Die Aufforderung sei als letzte Warnung zu verstehen. Am Mittwoch reichte die Arbeitnehmerin ein am Montag ausgestelltes Arztzeugnis ein, welches ihr eine Arbeitsunfähigkeit vom Montag bis und mit Donnerstag bescheinigte. Die Arbeitgeberin erkundigte sich gleichentags bei der Arbeitnehmerin, ob diese demnach am Freitag wieder einsatzfähig sei. Die Arbeitnehmerin antwortete, sie habe am Freitag einen Arzttermin und werde anschliessend weitersehen. In der Folge meldete sie sich nicht. Am Montagabend kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis fristlos.
Verletzung der Informationspflicht kann ein Kündigungsgrund sein
Der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer kann das Arbeitsverhältnis jederzeit aus wichtigen Gründen fristlos auflösen (vgl. Art. 337 Abs. 1 OR). Häufig liegt der wichtige Grund für eine fristlose Kündigung in einer schweren Pflichtverletzung, namentlich in einer Verletzung der Arbeits- oder Treuepflicht. Die Treuepflicht (Art. 321a Abs. 1 OR) ist in erster Linie eine Unterlassungspflicht. Sie wird beispielsweise verletzt, wenn sich der Arbeitnehmer widerrechtlich oder ungebührlich gegenüber dem Arbeitgeber verhält, wenn er den Betriebsfrieden stört oder wenn er Mitarbeiter, Kunden oder Lieferanten des Arbeitgebers abwirbt. Die Treuepflicht zwingt unter Umständen aber auch zu einem Tun. Insbesondere ist der Arbeitnehmer aufgrund seiner Treuepflicht gehalten, dem Arbeitgeber voraussehbare Absenzen möglichst frühzeitig mitzuteilen und unvorhersehbare Absenzen, wie beispielsweise Krankheit, umgehend zu melden.
Dass der Arbeitnehmer eine (krankheitsbedingte) Absenz umgehend mitteilen muss, war bereits vor dem jüngsten Entscheid ständige Rechtsprechung. Ebenso, dass eine (schwere) Verletzung dieser Pflicht ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung sein kann. Im jüngsten Entscheid konkretisierte das Bundesgericht diese Pflicht: Der Arbeitnehmer muss nicht nur, sobald es der Gesundheitszustand erlaubt, von sich aus den Arbeitgeber unverzüglich kontaktieren und ihn über die voraussichtliche Dauer und den Umfang seiner Arbeitsunfähigkeit unterrichten, sondern er bleibt während der ganzen Dauer seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung informationspflichtig. D.h. er muss den Arbeitgeber rasch, kontinuierlich und vollständig über seine Arbeitsunfähigkeit unterrichten. Er hat seine Prognose gegebenenfalls an neue medizinische Erkenntnisse anzupassen: Ist später mit einer kürzeren oder längeren Genesungsdauer zu rechnen, muss er diese Tatsache umgehend mitteilen. Das gilt besonders für Personen, die eine zentrale Funktion im Unternehmen wahrnehmen. Denn nur bei einer rechtzeitigen Mitteilung kann der Arbeitgeber die geeigneten organisatorischen Massnahmen ergreifen, um den abwesenheitsbedingten Schaden für den eigenen Betrieb, Zulieferer, Kunden sowie weitere Anspruchsgruppen möglichst gering zu halten (E. 5).
Massgeblich sind immer die Umstände des Einzelfalls
Eine Informationspflichtverletzung kann im Einzelfall ein wichtiger Grund für eine fristlose Entlassung sein (wichtiger Grund bejaht: BGer 4A_521/2016 vom 1. Dezember 2016, E. 3.5, u. BGer 4C.359/2006 vom 12. Januar 2007, E. 6; verneint: BGer 4A_91/2021 vom 19. Juli 2021, E. 5.1.1).
Im beurteilten Fall arbeitete die Arbeitnehmerin in einer Bierbrauerei bis zu ihrer fristlosen Entlassung als sogenannte Head-Brauerin. Sie war dort eine von bloss zwei festangestellten Bierbrauern. Angesichts dieses kleinen Personalbestandes verfügte die Arbeitgeberin über wenig Spielraum, um die Aufgaben der erkrankten Arbeitnehmerin auf andere Personen umzuverteilen. Die Arbeitgeberin befand sich zudem anfangs November in einer "kritischen Phase", da sie wegen des nahenden Weihnachtsgeschäftes einen gesteigerten Bestelleingang bewältigen musste. Das Bundesgericht schloss daraus, dass die Arbeitgeberin ein legitimes Interesse hatte, möglichst rasch von der Arbeitnehmerin zu erfahren, wann sie wieder mit ihrem Einsatz rechnen konnte (E. 6.1).
Die Arbeitnehmerin aber verletzte ihre Informationspflicht gleich zweimal: Ein erstes Mal leitete sie ein ihr bereits am Montag ausgestelltes Arbeitszeugnis, welches ihr bis und mit Donnerstag eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bescheinigte, nicht umgehend an die Arbeitgeberin weiter. Auch machte sie keine näheren Angaben zum voraussichtlichen Zeitpunkt, bis wann das Arztzeugnis folgen werde. Ein zweites Mal meldete sich die Arbeitnehmerin vier Tage lang nicht, obwohl sie der Arbeitgeberin am Donnerstag mitteilte, sie habe am Freitag einen Arzttermin und werde anschliessend weitersehen. Die Arbeitnehmerin liess die Arbeitgeberin somit über die ihr bekannte ärztlich festgestellte Dauer ihrer Krankheitsabwesenheit im Ungewissen. Nach Ansicht des Bundesgerichts erschwerte sie damit die Planung ihres Einsatzes in der Bierbrauerei und setzte einen wichtigen Kündigungsgrund i.S.v. Art. 337 OR (E. 6.2).
Ist eine Verwarnung notwendig?
Im beurteilten Fall liess das Bundesgericht die Frage offen, ob die Arbeitgeberin die fristlose Kündigung (noch einmal) hätte vorgängig androhen müssen, nachdem sie die Arbeitnehmerin bereits dazu aufgefordert hatte, zu einer ordentlichen Beendigung des Arbeitsvertrages beizutragen und ihren Verpflichtungen gemäss Vertrag nachzukommen, und sie anschliessend nochmals ermahnte, entweder eine korrekte Arbeitsleistung zu erbringen oder eine ärztliche Begründung für ihre Abwesenheit zu liefern. Diese beiden Ermahnungen ergingen bloss sieben bzw. sechs Tage vor der fristlosen Kündigung. Das Bundesgericht folgerte daraus, dass die Arbeitnehmerin wusste, mit welchen einschneidenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen sie bei einer erneuten Missachtung ihrer Informationspflicht rechnen musste (E. 6.3).
Ein Blick in die Kasuistik zeigt, dass im Einzelfall selbst die einmalige Verletzung der Informationspflicht ohne vorgängige Verwarnung eine fristlose Entlassung rechtfertigen kann (so in BGer 4A_521/2016 vom 1. Dezember 2016, E. 3.5, wo der Arbeitnehmer als Sicherheitswärter für den Betrieb einer Baustelle im Gleisbau eine unerlässliche Funktion ausübte und sich trotz Geschäftshandys und 13 verpassten Anrufen des Arbeitgebers drei Tage lang nicht meldete). Die Verletzung der Informationspflicht ist also nicht unbedingt eine leichte Pflichtverletzung und es muss immer genau überprüft werden, ob die konkreten Umstände eine fristlose Entlassung rechtfertigen, allenfalls sogar ohne vorgängige Verwarnung, wenngleich das der Ausnahmefall sein dürfte.