Newsletter: US-Zollturbulenzen – Rechtliche Auswirkungen auf internationale Kaufverträge aus Sicht des Schweizer Rechts
Aktuelle Situation: Vorübergehende Aussetzung neuer US-Einfuhrzölle
Am 2. April 2025 verkündete die US-Regierung neue und erhöhte Zölle auf eine Vielzahl von Importgütern aus anderen Ländern. Während viele dieser Zölle derzeit in Kraft sind – allgemein in Höhe von rund 10%, bei einigen Waren jedoch deutlich höher – hat die US-Regierung vor kurzem eine 90-tägige Aussetzung der angekündigten Zölle für Importe aus bestimmten Ländern bis Juli 2025 angeordnet. Für Waren mit Ursprung in China gelten weiterhin die deutlich erhöhten Zolltarife. Als Folge dieser Handelspolitik sehen sich Unternehmen, die in die USA importieren, mit höheren Kosten und Rechtsunsicherheiten konfrontiert.
Dieser Newsletter verschafft einen Überblick über die rechtlichen Auswirkungen auf betroffene Verträge und mögliche Mechanismen zur Risikoumverteilung aus der Perspektive des Schweizer Rechts.
Wer trägt das Risiko? Eine Frage der Vertragsbestimmungen
Die Zuweisung des Risikos im Zusammenhang mit den neuen US-Zöllen hängt in erster Linie von den spezifisch vereinbarten vertraglichen Bestimmungen ab. Im internationalen Handel oder grenzüberschreitenden Beschaffungsprozessen stützen sich die Parteien typischerweise auf die Incoterms (International Commercial Terms) der Internationalen Handelskammer (ICC), um nicht nur Zuständigkeiten für Transport und Versicherung, sondern auch die Zuweisung von Zollkosten zu regeln.
Für die wichtigsten Incoterms ist die Risikoverteilung wie folgt:
Unter DDP (Delivered Duty Paid) trägt der Verkäufer die Einfuhrzölle und das Risiko neuer und erhöhter Zölle.
Unter CIF (Cost, Insurance and Freight), CFR (Cost and Freight), DAP (Delivered at Place), EXW (Ex Works), FCA (Free Carrier) oder FOB (Free on Board) trägt der Käufer die Einführzölle und das Risiko neuer und erhöhter Zölle.
Wenn Incoterms oder andere spezifische Vertragsklauseln fehlen, bestimmt das anwendbare Recht, welche Partei die Kosten für Zölle zu tragen hat. Bei Anwendung von schweizerischem Recht unterliegen internationale Verträge über den Verkauf von Waren dem CISG (UN-Kaufrecht oder Wiener Kaufrecht), sofern die Voraussetzungen der Art. 1 bis 6 CISG erfüllt sind. Haben die Parteien die Anwendung des CISG ausdrücklich ausgeschlossen, so gilt für die internationalen Kaufverträge das Schweizerische Obligationenrecht (OR).
Nach beiden Regelwerken trägt – gestützt auf Art. 7(1) und 31 CISG bzw. Art. 189 OR – grundsätzlich der Käufer die Transportkosten einschliesslich der Importzölle, es sei denn, die Parteien haben den Sitz des Käufers als Erfüllungsort vereinbart.
Mögliche rechtliche Mechanismen zur Risikoumverteilung
Unternehmen, die von den neuen und erhöhten US-Zöllen betroffen sind oder sich vor künftigen Erhöhungen schützen wollen, können folgende rechtliche Mechanismen zur Anpassung oder Neuverhandlung ihrer vertraglicher Verpflichtungen in Betracht ziehen:
1. Spezifische vertragliche Vorbehalte zur Überprüfung der Transportpreise
Nach den durch Covid-19 verursachten Störungen in der weltweiten Transport- und Schifffahrtsindustrie haben einige Parteien Klauseln in ihre Verträge aufgenommen, die es ihnen ermöglichen, den vertraglich vereinbarten Kauf- oder Transportpreis im Falle von aussergewöhnlichen Ereignissen, die einen Einfluss auf die Transportkosten haben, zu überprüfen. Solche Klauseln sind jedoch häufig so formuliert, dass sie globale Pandemien oder ähnliche Phänomene abdecken, wodurch eine Anwendung auf die neuen US-Zölle fraglich sein kann.
Sind entsprechende Klauseln Bestandteil eines internationalen Kaufvertrags und ist unklar, ob diese auch Änderungen bei Einfuhrzöllen umfassen, müssen sie unter dem anwendbaren Recht ausgelegt werden.
2. Force-Majeure- und Hardship-Klauseln
Viele Handelsverträge enthalten Klauseln über höhere Gewalt (Force Majeure), die eine Partei von der Vertragserfüllung befreien, wenn aussergewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse ausserhalb ihrer Kontrolle eintreten. In der Praxis sind solche Klauseln jedoch selten klar genug formuliert. Regierungsanordnungen oder Handelsbeschränkungen werden nur vereinzelt ausdrücklich genannt. Zudem hängt ihre Anwendbarkeit davon ab, ob die Klausel verlangt, dass das Ereignis die Vertragserfüllung unmöglich macht oder lediglich dazu führt, dass die Erfüllung des Vertrags unwirtschaftlich wird. In Ermangelung konkreter Bestimmungen ist die Klausel nach dem anwendbaren Recht auszulegen.
Der Vertrag kann auch eine Hardship-Klausel enthalten, die eine Nachverhandlung des Vertrages vorsieht, wenn die Vertragserfüllung aufgrund unvorhergesehener Umstände unzumutbar wird. Eine solche Klausel sollte präzise festlegen, was als Hardship gilt (z. B. Zollerhöhungen über einem definierten Schwellenwert), und Verfahren für eine Vertragsanpassung oder Nachverhandlungen festlegen. Häufig sehen langfristige Lieferverträge Preisanpassungsklauseln in Kombination mit mehrstufigen Streitbeilegungsmechanismen vor, die aussergerichtliche Verhandlungen vorsehen.
Die Musterklauseln der ICC zu Force Majeure und Hardship (zuletzt aktualisiert in 2020) können den Parteien als Vorlage für die Vertragsgestaltung dienen..
3. Hardship nach dem CISG
Obwohl das CISG keine spezifische Regelung zu Hardship enthält, wird Art. 79 CISG von der herrschenden Lehre und Rechtsprechung so ausgelegt, dass die Bestimmung auch wirtschaftliche Erschwernisse umfasst. Danach muss Hardship (1) ausserhalb der Kontrolle der betroffenen Partei liegen, (2) bei Vertragsschluss unvorhersehbar und (3) vernünftigerweise unvermeidbar sein. Ob diese Kriterien angesichts der neuen US-Zölle erfüllt sind, ist im Einzelfall zu prüfen – unter Berücksichtigung des konkreten Vertrags, des Zeitpunkts des Vertragsschlusses sowie des Verhältnisses der neuen Zölle zum Gesamtwert des Vertrags. So dürfte eine Partei, die den Vertrag vor der offiziellen Nominierung von Donald Trump als republikanischer Präsidentschaftskandidat abgeschlossen hat, eher erfolgreich argumentieren können, dass die Zölle unvorhersehbar waren, als eine Partei, die den Vertrag erst Anfang dieses Jahres unterzeichnet hat.
Gemäss Art. 79 CISG hat die betroffene Partei während des Vorliegens eines Hardship-Zustands für die Nichterfüllung ihrer Pflichten nicht einzustehen. Zwar wird von Teilen der Lehre eine Pflicht zur Nachverhandlung ins Feld geführt, das CISG sieht eine solche jedoch nicht ausdrücklich vor. Auch Anpassung oder Auflösung des Vertrags durch Gerichte oder Schiedsgerichte sind nicht vorgesehen. Dennoch kann die betroffene Partei auf eine Nachverhandlung hinwirken, indem sie signalisiert, dass sie die Vertragserfüllung ohne Anpassung des Preises vorübergehend aussetzen muss.
4. Clausula rebus sic stantibus nach Schweizer Obligationenrecht
Im Gegensatz zum CISG erlaubt das OR unter der Doktrin clausula rebus sic stantibus die Anpassung eines Vertrags durch Gericht oder Schiedsgericht, wenn sich die Verhältnisse nach Vertragsschluss grundlegend verändert haben. Als letztes Mittel kann ein Vertrag sogar aufgehoben werden, sofern dies dem mutmasslichen Parteiwillen entspricht.
Gemäss Bundesgericht setzt die Anwendung der clausula rebus sic stantibus voraus, dass (1) die Veränderung ausserhalb der Kontrolle des Schuldners liegt, (2) unvorhersehbar war und (3) zu einer gravierenden Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Gegenleistung führt. Auch hier ist eine sorgfältige Prüfung der Umstände des Einzelfalls erforderlich.
Vorausschauendes Vertragsmanagement ist entscheidend
Angesichts der anhaltenden Unsicherheiten in der globalen Handelspolitik sollten Unternehmen ihre bestehenden Verträge überprüfen, insbesondere bei grenzüberschreitenden Transaktionen mit US-Bezug. Wir empfehlen insbesondere folgende Vorkehrungen für zukünftige Verträge:
die vertragliche Risikozuweisung hinsichtlich Zöllen sowie mögliche Preisanpassungen klar zu regeln (insbesondere in Bezug auf die bis Juli ausgesetzten US-Zölle);
massgeschneiderte Hardship-Klauseln aufzunehmen;
den anwendbaren Rechtsrahmen (CISG, OR usw.) je nach Vertrag zu prüfen.
Diese Massnahmen können dazu beitragen, die rechtlichen und finanziellen Risiken zu mindern und die Flexibilität im Hinblick auf künftige Zolländerungen zu erhöhen.
Bei Fragen zur Vertragsanpassung, Streitbeilegung oder zum internationalen Handelsrecht steht Ihnen unser Team von Wartmann Merker gerne zur Verfügung.