Newsletter: Der Zurich International Commercial Court als neue Option für die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten
Im Rahmen des Swiss Arbitration Summit organisierte Wartmann Merker Ende Januar 2025 eine Podiumsdiskussion zum Zurich International Commercial Court (ZICC). Zusammen mit Martin Bernet (Anwalt und Schiedsrichter sowie Leiter der Arbeitsgruppe der Zürcher Anwaltskammer zum ZICC), Aurélie Conrad Hari (Anwältin und Vizepräsidentin der Geneva International Legal Association) sowie Daniel Schwander (Oberrichter am Handelsgericht Zürich) diskutierten Peter Reichart und Anne-Catherine Hahn (Wartmann Merker) über den möglichen Beitrag des ZICC zur Beilegung grenzüberschreitender Handelsstreitigkeiten.
Anknüpfen an etablierten Traditionen
Das Handelsgericht Zürich ist dafür bekannt, die Parteien in einem frühen Stadium des Verfahrens zu einer Vergleichsverhandlung einzuladen und aktiv auf einen Vergleich hinzuwirken. Dies tut es unter Beizug von nebenamtlich tätigen Handelsrichterinnen und Handelsrichtern aus der Industrie, welche Fälle aus ihrem beruflichen Umfeld zusammen mit hauptamtlich tätigen Oberrichterinnen oder Oberrichtern bearbeiten.
Nachdem in den letzten Jahren verschiedene europäischen Länder Vorstösse zur Einrichtung internationaler Handelsgerichte unternommen haben, befasste sich der Zürcher Anwaltsverband seit 2018 mit einer möglichen "Internationalisierung" des Handelsgerichts Zürich.
Mit der kürzlich in Kraft getretenen Revision der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) ist dies nun Realität geworden. Gemäss den seit Januar 2025 geltenden Vorschriften können die Kantone Verfahren in englischer Sprache zulassen. Zudem können die Parteien ein Handelsgericht als sachlich zuständiges Gericht bestimmen, wenn die folgenden Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
Die Parteien haben eine entsprechende Zuständigkeitsvereinbarung getroffen.
Zu diesem Zeitpunkt hat mindestens eine Partei ihren Wohnsitz oder ihren Sitz im Ausland.
Der Streit betrifft die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei.
Der Streitwert beträgt mindestens CHF 100'000.
Gestützt auf diese Gesetzesanpassungen wird der ZICC seine Tätigkeit voraussichtlich 2027 als spezialisierte Abteilung des bestehenden Handelsgerichts Zürich aufnehmen.
Vergleichsverhandlungen als zentrales Merkmal des Verfahrens
Das Handelsgericht Zürich lädt die Parteien üblicherweise nach dem Austausch der ersten Rechtsschriften, d.h. in der Regel innerhalb von sechs bis neun Monaten nach Einleitung des Verfahrens, zu Vergleichsverhandlungen vor. Eine Delegation des Gerichts gibt dabei eine vorläufige – aber umfassende und gründliche – Einschätzung der jeweiligen Positionen der Parteien ab und moderiert auf dieser Grundlage Vergleichsgespräche. Die Erfolgsquote bei diesen Verhandlungen liegt mit 80-90 % auf einem sehr hohen Niveau.
Die aktive Beteiligung der Richter an Vergleichsverhandlungen ist vor allem für Juristen aus Common-Law-Jurisdiktionen ungewöhnlich. Viele Unternehmen, die eine rasche Streitbeilegung anstreben, sehen darin sowie in der systematischen Einbindung von Branchenexperten jedoch einen wesentlichen Vorteil des Handelsgerichts Zürich.
Prozessuale Rahmenbedingungen des ZICC
Das ZICC wird auf dieser etablierten Praxis aufbauen und sich gleichzeitig weiter gegenüber international tätigen Parteien öffnen.
Das ZICC wird Verfahren vollständig in englischer Sprache durchführen. Das gilt für die Eingaben der Parteien und die Vergleichsverhandlung, aber auch für alle gerichtlichen Verfügungen und das Urteil. Ansonsten wird der Verfahrensgang weitgehend jenem vor dem Handelsgericht Zürich entsprechen. Das bedeutet insbesondere, dass Entscheide nur an das Bundesgericht als einzige Rechtsmittelinstanz weitergezogen werden können, wobei beschränkte Rügegründe zur Anwendung kommen.
Wie in anderen Verfahren werden die Gerichtskosten und eine mögliche Parteientschädigung ausgehend vom Streitwert nach einem kantonalen Tarif bestimmt. Bei Durchführung des Verfahrens bis zum Endurteil belaufen sich die Gerichtskosten bei einem Streitwert von CHF 10 Millionen auf etwa CHF 120'000, während bei einem Streitwert von CHF 50 Millionen Gebühren von rund CHF 300'000 anfallen. Die der obsiegenden Partei zugesprochene Parteientschädigung liegt im selben Rahmen. Falls es zu einem Vergleich kommt, fallen die Gerichtskosten allerdings erheblich niedriger aus und werden in der Regel zwischen den Parteien aufgeteilt, wobei jede Partei ihre eigenen Anwaltskosten trägt.
Internationale Vollstreckbarkeit von ZICC-Entscheidungen
Dank des Lugano-Übereinkommens (das der EU-Verordnung 44/2001 entspricht) werden Entscheidungen des ZICC in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie in Norwegen und Island leicht vollstreckbar sein. Die Vollstreckung erfolgt auf einseitigen Antrag, und die Verweigerungsgründe sind eng umschrieben. Wie in der Podiumsdiskussion betont wurde, ist es daher i.R. einfacher, Schweizer Gerichtsentscheide in Europa zu vollstrecken als die Vollstreckung eines Schiedsspruchs nach dem New Yorker Übereinkommen zu erwirken.
Die neuen Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen und über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen werden darüber hinaus die Vollstreckung von Urteilen im Verhältnis zum Vereinigten Königreich und verschiedenen aussereuropäischen Länder erleichtern.
Ausblick
Anders als internationale Schiedsgerichte führen Handelsgerichte Verfahren nach nationalem Zivilprozessrecht und im Einklang mit lokalen Gepflogenheiten durch. Mit der Schaffung des ZICC entspricht der Kanton Zürich dem wachsenden Bedürfnis von Nutzern nach einem staatlichen Streitbeilegungsmechanismus in der Tradition der Civil Law-Rechtsordnungen.
Parteien, welche sich für den ZICC entscheiden, müssen sich bewusst sein, dass sie nur begrenzten Einfluss auf die Ausgestaltung des Verfahrens haben. Dies gilt auch für die Beweisaufnahme: Grundsätzlich stützt sich das Handelsgericht Zürich stark auf Urkundenbeweise. Zeugen werden nur angehört, nachdem der Vergleichsversuch gescheitert ist, und nur insoweit, als ihre Aussagen erforderlich sind, um bestrittene und relevante Tatsachen zu beweisen. In der Praxis empfiehlt es sich daher, die jeweiligen Positionen bereits in der Klage und Klageantwort umfassend darzulegen und zu dokumentieren.
In Verbindung mit den vergleichsweise niedrigen Kosten und der einfachen Vollstreckbarkeit von Urteilen in Europa ist dieses Modell z.B. für Streitigkeiten aus grenzüberschreitenden Liefer- oder Vertriebsverträgen attraktiv. Auch für die Beilegung von Streitigkeiten aus M&A-Transaktionen mit Beteiligung schweizerischer oder europäischer Parteien bietet sich der ZICC an. Für andere Fälle oder für Parteien von ausserhalb Kontinentaleuropas mag ein Schiedsverfahren besser geeignet sein. Wie während der Podiumsdiskussion von Wartmann Merker deutlich wurde, kann der ZICC jedenfalls auf der anerkannten Praxis des Handelsgerichts Zürich und der traditionellen Rolle der Schweiz als neutralem Forum aufbauen. Unternehmen aus dem In- und Ausland steht damit eine neue, interessante Option zur Verfügung.